Neulich hier auf dem Klo: Im Casa Ambs wandern alle Zeitschriften, die regelmässig in den Briefkasten flattern, auf direktem Weg ins Klo. In einen grossen, extra zu diesem Zwecke dort platzierten Korb. Lesevergnügen pur und Ablenkung von den schrecklichen, retro-braunen Plättli an den Wänden – ja, unser Klo zählt wirklich und definitiv zu den hässlichsten Örtlichkeiten unserer ansonsten einwandfreien Wohnung. So sitze ich da also kürzlich und starre auf das schlichtweg perfekte Konterfrei auf dem Titelbild der aktuellen annabelle hinunter. Julia Saner. Ein perfekt geschwungener, überraschend dichter Augenbrauenbogen betont unschuldige, blass-grüne Augen. Mein Blick folgt der geraden, süssen kleinen Nase nach unten bis zu perfekten, rosafarbenen Lippen. In gekonnter Manier halb geöffnet, legen sie zwei weisse und – wer hats geahnt! – perfekt geformte Schneidezähne frei. Unter dem genau richtig proportionierten Kinn liegen getreu der Moritz L.-Denkerpose zwei Finger einer grazilen, zarten Hand. Die Fingernägel in genau der richtigen Länge, mit Glanzlack überzogen, die Haut leicht gebräunt. Ich kann nicht aufhören, zu starren. Vor Ehrfurcht kann ich das Magazin gar nicht in die Hände nehmen – zu schön, zu perfekt der Anblick auf dem Titel. Wie ist es möglich, so einwandfrei, so schlichtweg vollkommen auszuschauen? Mit zunehmender Verzweiflung suche ich das Bild nach einem Makel ab. Irgendwas muss es doch geben, irgendeine Unebenheit, was Schiefes, was zu Grosses, was zu Kleines…. Da! Ha! Ich entdecke ein winziges schwarzes Pünktchen auf der glatten, faltenlosen Stirn von Julia! Heureka! Ein Mini-Pickel, Hautunreinheit, Mitesser! Da haben wirs – auch sie ist nicht perfekt. Erleichtert grinsend nehme ich das Magazin hoch, um mir diesen Beweis der Unvollkommenheit aus der Nähe zu betrachten. Doch – oje, als ich mit dem Finger drüberfahre, ist er weg. Mist, nur ein Staubkorn aus unserem Klo. Frau Saner blickt mir in alter, perfekter, vollkommener Art unschuldig entgegen und ich werfe das Heft frustriert zurück in den Korb. Dabei fällt mein Blick auf meine Füsse in den Flip Flops. Abblätternder Nagellack und zwei giftgrüne SUVA-Pflaster am Zehen – ja, so sieht die schändliche Wahrheit, bestehend aus neunundneunzig Prozent der Frauen in der Schweiz, nämlich aus. Auch wenn sie – wie die schöne Frau Saner – ebenfalls aus Bern stammen.